Impfbereitschaft

Mangelnde Impfbereitschaft unter Pflegekräften?

Eine E-Mailumfrage (!) sorgt für Panik: Nur rund die Hälfte der Pflegekräfte in deutschen Kliniken sei bereit, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Das berichtete die ZEIT. Angehörige der sog. Risikogruppe reagierten besorgt, impfbereite Pfleger*innen schockiert ob der scheinbaren Ignoranz ihrer Kolleg*innen - und Markus Söder brachte sogleich die Impfpflicht wieder ins Spiel.

Wie kam diese merkwürdige Debatte zustande und was hat es mit dem Vorstoß des CSU-Politikers auf sich?

Die Impfpflicht: Ein Etwas-weiter-Zurückblick.

Geimpft wird in Europa seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Auf dem asiatischen und afrikanischen Kontinent wurden vergleichbare Praktiken schon bis zu einige Jahrhunderte früher durchgeführt.

Eine Impfpflicht wurde schließlich im Deutschen Kaiserreich 1874 eingeführt, um der Pockenepedemie beizukommen. Die Gegnerschaft der Impfpflicht ist dabei so alt wie diese selbst: Der bekannte Philosoph und Rassist Immanuel Kant etwa, hatte davor gewarnt, dass den Menschen auch die "tierische Brutalität" eingeimpft werde.

Im Nationalsozialismus wurde die Impfpflicht schließlich gelockert; die Pockenschutzimpfungen im Zweiten Weltkrieg gar ausgesetzt. Während man sonst vor keiner Grausamkeit zum Erhalt des "gesunden Volkskörpers" zurückschreckte, galt die Impfung wohl eher als Erfindung der "verjudeten Schulmedizin".

Seither scheint das Verhältnis der deutschen Politik zur Impfung gespalten - zu Zeiten der Mauer auch entlang der innerdeutschen Grenze. Der Westen setzte auf Freiwilligkeit beim Impfen, die DDR führte die Impfpflicht Ende der 50er Jahre wieder ein. Das scheint nachzuwirken: Bis zum Ausbruch des Coronavirus berichteten Medien immer wieder von einer höheren Impfbereitschaft im Osten als im Westen - bei der Grippeschutzimpfung zeitweise bis zu 10% mehr.

Eine Studie der Universität Hamburg konnte kein Ost-West-Gefälle in Bezug auf die Corona-Impfung feststellen - nur ausgerechnet Bayern fiel negativ aus der Reihe. Die Impfbereitschaft der Bevölkerung sei dort allgemein auffällig geringer als im Rest von Deutschland. Es drängt sich regelrecht die Frage auf:

Ist der Vorstoß von Markus Söder ein Ablenkungsmanöver vom Bayrischen Problem auf Kosten des Vertrauensverhältnisses zwischen Pflegenden, Pflegebedürftigen und deren Angehörigen?

Fast Forward: 2021.

Pflegepersonal und Pflegebedürftige - ein nicht immer ganz einfaches Verhältnis

Teile und Herrsche beschreibt das Phänomen, in dem zwei oder mehr Bevölkerungsgruppen und ihre Interessen zugunsten einer dritten, weiter außenstehenden Partei gegeneinander ausgespielt werden. Ziel des Ganzen ist es, sich den angefachten Streit zu nutzen zu machen und davon abzulenken, dass sich eben jene dritte Partei Macht sichert und erhält - auf Kosten der Streitenden. Klassisches Beispiel: Einwanderer würden arbeitslosen Einheimischen Jobs wegnehmen, die diese ohnehin nicht bekommen hätten - und arbeiten währenddessen für Löhne, für die besagte Alteingesessene nie hätten arbeiten wollen. Wer freut sich? Der Arbeitgeber. 

Der Arbeitgeber sind in diesem Fall Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen und diesen übergeordnet der Staat. Der entscheidet sich, zu finanzieren - oder eben nicht.

Je schlechter die Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal, desto schwieriger ist die Aufrechterhaltung der Arbeitsqualität und natürlich auch der Arbeitslaune. Pflegebedürftigen bleibt dabei meist nicht viel anderes übrig, als auszuhalten. Wer schon mal länger im Krankenhaus war weiß: Auch wenn viele Angehörige des Krankenhauspersonals versuchen, ihre Überanstrengung zu verbergen, bekommt man das natürlich mit. Patient*innen und Angehörige reagieren wahlweise frustriert und offensiv oder aber mit Rückzug - klingeln beispielsweise seltener trotz Schmerzen oder versuchen den Toilettengang hinauszuzögern, für den sie Unterstützung brauchen. Sie fühlen sich eingeschüchtert und verunsichert. 

Berichte über Missbrauchsskandale in Pflegeheimen verstärken das Misstrauen vieler Pflegebedürftiger. Auch wenn diese Vorfälle wohl kaum in Zusammenhang mit Überforderung durch schlechte Arbeitsbedingungen gebracht werden dürfen - sie offenbaren auch Systemfehler, werfen Fragen über Kontrollen und Management auf. Statt transparente Aufarbeitung zu fördern, wird Personal, das Missstände offenlegt, prompt entlassen. Die Unnachvollziehbarkeit solcher Zustände im 21sten Jahrhundert schürt Ängste. 

(Un)Solidarisches Pflegepersonal, falsch interpretierte Statistik und ein bayrischer Noch-Nicht-Kanzlerkandidat

Was ist nun dran an der angeblich mangelnden Impfbereitschaft von Pflegepersonal in deutschen Krankenhäusern? Die ZEIT berichtete zunächst von einer Statistik nach der etwa die Hälfte "der Pflegekräfte" nicht geimpft werden wolle. 

Im ZEIT-Podcast "Was jetzt?" wiederum wird zurückgerudert: Die Information basiere auf einer keineswegs repräsentativen E-Mailumfrage, an der jede*r hätte teilnehmen können. In einer Befragung des RKI wiederum hätten Pflegekräfte vor allem die ungünstigen Öffnungszeiten der Impfzentren beklagt. 

Sicherlich gibt es Impfverweiger*innen unter medizinischem Personal. Es gibt ja auch Ärzt*innen, die die Gefahr des Coronavirus nach wie vor für überbewertet halten.

Dass sich Politiker*innen, die sich bislang äußerst geduldig und verständnisvoll gegenüber Corona-Leugner*innen gezeigt hatten, jetzt so auf diese Befragung einschießen, wirkt fast so, als hätten sie darauf gewartet.

Aber ganz unabhängig davon, wie viele oder wenige Pflegekräfte sich tatsächlich impfen lassen würde: Der ehemalige Pfleger und jetzt Autor Frédéric Valin kann Verständnis für eventuelles Misstrauen gegenüber vermeintlicher Fürsorge der Politik für das Personal aufbringen. Im neuen deutschland schreibt er:

"Dass auf die Gesundheit von Pflegenden Acht gegeben wird, ist eine ganz neue Entwicklung. Seit Jahren sind die Arbeitsbedingungen so schlecht, dass eine Stelle in der Pflege immer mit herbem Raubbau an Körper und Psyche einhergeht. [...]

Die Impfverweigerungen der Pflegenden taugen aber auch als Indikator dafür, wie schlecht Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen in den Heimen funktionieren. Es hätte eigentlich einen Wissensvorsprung in der Pflege gebraucht. Damit ist nicht gemeint: besser informiert zu sein als der Forschungsstand; sondern besser informiert zu sein als der Durchschnitt der Bevölkerung. Dazu hat allerdings eines gefehlt: aufbereitete Informationen."

Für die #Risikogruppe, der im Übrigen durchaus auch Pflegekräfte angehören, bleibt vor allem zu hoffen, dass sich die besagte Befragung als nicht repräsentativ bewahrheitet.

Darüber hinaus müssen wir an einem solidarischen Ausweg aus der Krise festhalten:

Personal aufstocken, Löhne anheben, Ausrüstung bereitstellen, Fallpauschalen abschaffen, bedarfsgerechte Finanzierung schaffen, Ausbildungen verbessern und Weiterbildungen ermöglichen. Außerdem: Diskriminierung im Gesundheitswesen bekämpfen. Für gute Arbeits-, Genesungs- und Versorgungsbedingungen für alle.

Achso, und wie machen wir das mit der Impfpflicht?

Darüber vermag ich mir derzeit kein abschließendes Urteil zu bilden. Aber sicher ist: Ich lasse mich impfen und hoffe, du tust es auch.

Natürlich sofern du keine guten Gründe dagegen hast. Gute Gründe könnten vielleicht Allergien sein - aber sicher keine antisemitischen, psudo-wissenschaftlichen Thesen.